Worte, die wirken

 

Leseprobe "Vier Seiten für ein Halleluja"


Vier Seiten für ein Halleluja
Hans-Peter Roentgen
Charles Verlag

Vorwort

Vier Seiten, mehr lesen Lektoren in den Verlagen von unverlangt eingesandten Manuskripten nicht. Profis können schon nach den ersten Seiten sehen, woran ein Text krankt. Da wird zu viel erklärt, oder die Personen bleiben blass, oder der Text ist mit Adjektiven überladen oder …
Wenn eins dieser Probleme in einem Text auftaucht, wird der Verlagslektor ihn schnell beiseitelegen und die Autorin oder der Autor erhält einen der beliebten, nichtssagenden Formbriefe. Denn die Probleme, die auf den ersten vier Seiten auftreten, setzen sich in aller Regel im Rest des Manuskripts fort.
Dieses Buch soll Ihnen helfen, die Schwächen Ihrer Texte zu erkennen und das Potenzial ihrer Geschichte zu nutzen. Folglich finden Sie hier keine Wundermittel und keine todsichere Methode, einen verdammt guten Roman zu schreiben, geschweige denn eine Garantie dafür, einen Verlag zu finden. Texte besser zu machen, das ist alles, was dieses Buch möchte und es zeigt, wie das geht, anhand der ersten vier Seiten unterschiedlichster Manuskripte.
Deshalb hatte ich im Winter 2006 einen Aufruf in „Federwelt“ und „Tempest“ geschaltet, Autoren mögen mir die ersten vier Seiten ihres Romans zusenden, damit ich sie auf Fehler und Probleme prüfe und Änderungen und Verbesserungen vorschlage.
Ich möchte allen danken, die meinem Aufruf gefolgt sind. Denn damit hatte ich einen Fundus von Texten, anhand derer sich typische Fehler zeigen lassen, aber eben auch, wie man sie beseitigt.
„Ist mein Text gut oder schlecht?“, das war die bange Frage vieler Einsender, die einen sprachen es direkt aus, die anderen zwischen den Zeilen. Doch gut oder schlecht sind Eigenschaften eines fertigen Textes. Die zugesandten Texte waren durch die Bank halbfertig, nutzten das Potenzial ihrer Geschichte nur zum Teil aus. Und genau darum geht es in diesem Buch. Wie erkenne ich typische Anfängerfehler? Was kann ich tun, um sie zu beheben?
Nicht alle Texte werden in der vollen Länge von vier Seiten vorgestellt. Aber alle lange genug, dass sich das Problem zeigt. Genau daran fehlt es in Deutschland. Die Verlage klagen über die Unmenge unverlangt eingesandter Manuskripte, deren Qualität für eine Veröffentlichung nicht ausreicht.
Aber die wenigsten Autorinnen und Autoren, schon gar nicht die mit geringer Schreib-Erfahrung, können ihre Texte objektiv lesen, Probleme erkennen, geschweige denn sie beheben. Und leider gibt es in Deutschland viel zu wenig Möglichkeiten, um zu lernen, wie man eine Geschichte beurteilt und verbessert. Die meisten Handbücher beschränken sich auf Stil und Grammatik, obendrein bringen sie als Beispiele einzelne Sätze, keine zusammenhängenden längeren Texte. Und daran lassen sich Spannungsbogen und Personen nicht überprüfen, oder ob das, was erzählt wird und das, was nicht erzählt wird, in einem ausgewogenen Verhältnis steht.
Ich habe aus den Einsendungen die unterschiedlichsten Texte ausgewählt. Nicht alle Probleme eines Textes konnte ich behandeln. Darum habe ich mich immer auf das Hauptproblem beschränkt. Denn Texte werden nicht in einem Durchgang verbessert, sondern sukzessive. Erst die Personen, wenn diese zu blass sind; dann der Spannungsbogen; dann …
Eins nach dem anderen. Sonst verliert der Autor, vor allem der unerfahrene, den Überblick.
Natürlich sind meine Lösungsvorschläge genau das: Vorschläge. Oft gibt es verschiedene Möglichkeiten, ein Problem zu lösen. Auch das Schreiben hat seine Werkzeuge. Je mehr Sie in Ihrem Werkzeugkasten haben (und benutzen können!), desto besser werden Ihre Geschichten. Überlegen Sie ruhig, ob es nicht andere Lösungen für die Probleme der Texte gibt. Spielen Sie damit. Probieren Sie es aus!
Und vergessen Sie nicht: Schreiben braucht Übung.
Wie sagte der Wiener zum Preußen, der fragte, wie er zur Philharmonie komme? „Üben, üben, üben.“ Damit dies kein Trockenschwimmkurs bleibt, habe ich zahlreiche Übungen in den Text eingestreut, die Ihre Schreibmuskeln trainieren sollen. Und sicher schadet es nichts, wenn Sie sich bei den Beispieltexten erst einmal selbst überlegen: Was stimmt hier nicht? Wie könnte es verbessert werden?
Schreiben hat, wie alle anderen Beschäftigungen auch, seine Fachsprache. Wissen Sie, was ein Plot, ein Infodump oder narratives Erzählen ist? Was mit dem vielzitierten Satz: Zeigen, nicht behaupten (show, don’t tell) gemeint ist? Für diese und andere Fachbegriffe finden Sie am Ende ein Lexikon.
Und nun: Viel Spaß mit den Texten und der Arbeit daran. Möge Pegasus Ihre Feder beflügeln.
Denn trotz allem Schweiß, trotz all der Knochenarbeit, die Schreiben eben auch ist: Manchmal und immer öfter ist es besser als Sex. Vorbemerkung
Alle Beispieltexte wurden anonymisiert. Ich spreche überall von „Autoren“ in der männlichen Form, um Rückschlüsse auf das Geschlecht zu vermeiden. Natürlich heißt das nicht, dass die Autoren der Texte alle männlich sind. Dies gilt auch sonst bei der Verwendung männlicher Formen („Leser“ etc.).
Das Copyright der Beispieltexte liegt bei den Autorinnen und Autoren, die frei sind, diese anderweitig zu verwenden.
Rechtschreibfehler in den eingesandten Texten wurden, soweit entdeckt, korrigiert. 

Dackel Sherlock: Mord im Fernsehstudio

Belinda betrat ihr Büro und setzte sich an den Computer. Als erstes öffnete sie die Homepage ihres Moderators Martin Martinson. Sie zögerte bevor sie die Newsseite anklickte. Ihr Gefühl war richtig gewesen, sie hätte es bleiben lassen sollen. Ein Foto zeigte Martin Arm in Arm mit seiner Managerin, die ihn verliebt anlächelte.
Annabell Großmann, ihre Sekretärin, betrat das Büro und blieb in der Tür stehen.
„Gut, dass du kommst. Hast du das mit Martin und Carla gewusst?“
Annabell ging um den Schreibtisch herum und schaute Belinda über die Schulter.
„Was regst du dich auf. Ihr seid seit sechs Wochen getrennt. Du weißt wie er ist, er kann halt nicht allein sein.“
„Trotzdem, sich so schnell zu trösten, wo er mir immer versichert hat, ich sei seine große Liebe, das tut weh.“
„Darf ich dich daran erinnern, dass du Schluss gemacht hast.“
„Na und. Das spielt doch keine Rolle. Ich könnte mich nicht so schnell wieder verlieben. Oder meinst du, dass es keine Liebe ist zwischen den beiden?“
Annabell lachte auf. „Ich habe mit Martin nie ein so super Verhältnis gehabt, dass ich dir sagen kann, was er denkt. Und ehrlich, er ist überhaupt noch nie mein Typ gewesen. Deshalb bin ich aber nicht da. Unser berühmtester Schauspielerexport, Anita Vero, ist soeben eingetroffen und gleich in die Maske gegangen. Die zieht vielleicht eine Show ab. Unsere Maskenbildnerin ist ganz fertig. Nicht nur, dass sie die Haare auf große Lockenwickler eingedreht haben will, nein, sie will sie gewaschen haben und auch noch geschnitten. Unsere Maskenbildnerin war stark. Sie hat ihr cool zu verstehen gegeben, dass sie noch nie gerade geschnitten hätte. Da hat die Vero gesagt, die Haare waschen wäre perfekt. Dabei ist sie so eine berühmte Schauspielerin. Die muss doch sagenhaft viel Geld verdienen, und will umsonst die Haare geschnitten kriegen, unglaublich.“
Sherlock, der Rauhaardackel, hatte mittlerweile Annabell angestupst und sich auf den Rücken gelegt. Prompt beugte sie sich hinunter, um ihn zu streicheln.
„Du Armer, sicher bekommst du von Belinda keine Streicheleinheiten. Oh je, dein Wassernapf ist auch leer.“ Sie warf Belinda einen vorwurfsvollen Blick zu. Dann stand sie auf und griff sich eine der Literflaschen stilles Wasser, die in einem Sechserpack hinter der Tür standen.
„Annabell, stell mich bitte nicht als Hundehasserin hin. Dieses Tier ist mir völlig egal. Hätte ich meiner Großmutter nicht versprochen, auf ihn acht zu geben, wäre er in einer Hundepension.“
„Verstehe ich nicht. Ich hätte gern so einen feinen Hund. Sherlock ist klug, weißt du das?“
„Wie bitte? Ich gebe die Frage zurück. Woher weißt du das? Hat er es dir gesagt?“
„Das sieht man an seinem Blick und wenn ich mit ihm spreche, dann versteht er jedes Wort.“
Sherlock hatte sich hingesetzt und schaute sie aufmerksam an. Genau. Er verstand jedes Wort. Annabell war die Beste. Von ihr ließ er sich gern streicheln. Er hatte es nicht eilig, dass sein Frauchen wieder zurückkam. Fernsehen war seine Leidenschaft. Nie hätte er sich träumen lassen, dass er plötzlich mitten drin im Geschehen war, und nicht mehr nur vor der Glotze sitzen musste. Außer den Werbesendungen gehörten vor allem Krimis zu seinen Lieblingssendungen. Vor allem fand er es super spannend, selber auf den richtigen Täter zu tippen, was ihm schon des öfteren gelungen war. Schade, dass Belinda nur für Unterhaltung zuständig war. Als Ermittler in einem Fernsehkrimi hätte er gern mitgespielt.
Personen und Helden
Erst beobachtet der Leser die Szene durch die Augen Belindas, die sich gerade von ihrem Freund getrennt hat, damit fängt die Geschichte an. Dann wechseln wir in die Dackelperspektive, erleben, was der Hund denkt und fühlt.
Warum nicht gleich aus der Dackelperspektive? Die Überschrift verspricht uns einen Dackeldetektiv. Wäre es da nicht sinnvoll, das Geschehen wirklich aus Hundesicht zu schildern? Wie sieht ein Hund die Welt? Zunächst einmal riechen Hunde weit besser als Menschen, deren Hauptsinn die Augen sind. Das ist eine Möglichkeit, den Leser auf den Hund zu bringen. Sherlock durchschaut die Menschen nicht, er „durchschnuppert“ sie.
Außerdem ist ein Dackel klein, er sieht die Welt von ganz unten.
Doch davon spüren wir in dem Absatz nichts. „Annabell war die Beste“ ist nichtssagend, sowohl für Dackel wie auch für Menschen. Und „Fernsehen war seine Leidenschaft“. Wie fühlt sich das an, als Dackel Krimis zu sehen? Was fasziniert ihn? Genau das sollte hier geschildert werden:
Er erschnupperte den Täter lange vor Belinda. Natürlich sendete das Fernsehen nur Bilder, aber immer wenn es spannend wurde, hatte er einen Geruch in der Nase. Einen Geruch, der ihm sagte: ‚Da lügt einer.’ Oder: ‚Der hat Angst.’ Und dieser Geruch trog selten.
Es gibt Menschen, die können zu Worten Farben sehen. Synästhesie nennt sich das. Sherlock konnte Bilder riechen.
Wer einen ungewöhnlichen Protagonisten hat, sollte das nutzen. Solange Sherlock sich verhält wie irgendein beliebiger, uninteressanter Mensch, verschenkt der Autor Potenzial.
Da lohnt sich jeder Aufwand, um in die Dackelperspektive zu kommen. Legen Sie sich auf den Boden. Kriechen Sie auf allen vieren durch die Wohnung. Schließen Sie die Augen und stellen Sie sich vor, wie es ist, wenn die Gerüche ein offenes Buch für Sie sind, jeder erzählt eine Geschichte. Gerüche erzählen, ob ein Mensch Angst hat oder lügt. Wie fühlt sich diese Welt an?
Und da sind wir beim Anfang. Der erste Absatz teilt uns langatmig mit, dass Belinda die Newsseite anklickt. Warum nicht aus der Sicht des Dackels erzählen? Vielleicht so:
Seine Pflegemenschin würde es nie lernen. Kaum betrat sie das Büro, schon klickte sie die Newsseite dieses Windhunds an. Natürlich, der hatte längst ein anderes Weibchen. Sherlock hatte sie gewarnt. Gleich beim ersten Treffen hatte er gerochen, dass Martin Martinson falsch war. Er hatte sich zwischen die beiden gedrängt und gebellt, aber sie wollte es nicht verstehen. Menschen!
Jetzt betrat auch die Sekretärin Annabell Großmann den Raum.
‚Hast du das gewusst?’, fragte Belinda sie und zeigte auf den Bildschirm.
Gute Geschichten leben von ihren Figuren. Hat der Autor seine Hausaufgaben gemacht, erinnern sich seine Leser noch an diese Person, wenn alles andere längst vergessen ist. Don Quichotte, Dracula, Harry Potter, Mephisto kennen selbst die, welche die Bücher, in denen sie auftauchen, nie gelesen haben.
Anfänger fangen ihre Geschichten gerne mit dem Plot an, in dem etwas passiert und schenken den Personen weniger Aufmerksamkeit. Der Plot ist nicht unwichtig, aber er hängt von den Figuren ab. Wer würde Windmühlen angreifen? James Bond mit seinem Superschlitten? Dracula, um ihnen eine Blutprobe zu entnehmen? Harry Potter, weil er sie für Voldemort hält? Nein, das kann nur Don Quichotte tun, der Ritter von der traurigen Gestalt, der sie mit Riesen verwechselt. Was passiert, hängt eng mit dem zusammen, wer es erlebt. Was jemand tut, was ihm zustößt, hängt davon ab, wer er ist. In Geschichten wie in der Realität. Nicht mal Michael Kohlhaas würde mit seinem Pferd eine Windmühle angreifen.
„Man kann nie genug über seine Figuren wissen“, wusste schon Somerset Maugham. Bei der Wahl der Figur und vor allem bei der Ausarbeitung des Protagonisten, des Helden (der keineswegs „heldenhaft“ sein muss, im Gegenteil) entscheidet sich, ob es eine gute Geschichte wird. Bevor Sie eine Idee zu einer Geschichte ausarbeiten, müssen Sie Ihren Protagonisten kennen lernen. Haben Sie ihn dann zum Leben erweckt, wird er es Ihnen danken. Dann entwickelt sich die Geschichte aus Ihrer Figur und diese wird Ihnen über viele Probleme des Plots hinweg helfen.
Aber wie kommen Sie Ihrem Helden näher?
Figuren entwickeln
Es gibt ein paar Tricks, mit denen ein Autor seine Figuren entwickeln kann.
Fragen Sie sich, welche Verletzungen Ihr Held erhalten hat. Helden sind keinesfalls unverletzlich. Siegfried hat im Drachenblut gebadet, das ihn unverletzbar machte. Ohne das Ahornblatt, das auf seine Schulter fiel, wäre er als Held einer Geschichte unbrauchbar, niemand hätte ihn besungen. Irgendwann wäre er an Altersschwäche gestorben und vergessen worden wie all die anderen, über die niemand erzählt.
Nein, ein Held soll nicht perfekt sein, ganz im Gegenteil. Er muss nicht mal sympathisch sein, schon gar nicht muss er der weiße Ritter sein. Fragen Sie sich, ob ihr Held eine Schwäche hat, eine negative Eigenschaft. Ist er ungeduldig, verprellt er deshalb Freunde, andere Menschen? Das wird ihn in Ihrer Geschichte in Schwierigkeiten bringen.
Hat er einen Wunsch oder eine Macke, der er alles andere unterordnet? Ahab hat seinen Hass auf Moby Dick, den weißen Wal. Den will er zur Strecke bringen. Diesem Wunsch opfert er alles, sein Schiff, seine Mannschaft, sogar sein Leben. Und ist dieser Kapitän Ahab, der Held von „Moby Dick“, ein netter Mensch? Wohl eher nicht.
Was ist mit Dackel Sherlock? Er liebt Krimis. Er will in einem mitspielen. Wenn in seiner Umgebung ein Mord geschieht, wird er alles daransetzen, ihn aufzuklären. Dabei hat er einen Vorteil. Er riecht besser als alle menschlichen Kommissare. Und einen Nachteil: er tut sich mit Verhören schwer. Daraus lässt sich eine Geschichte weben. Daraus kann ein Autor den Plot entwickeln.
Wenn Sie Ihrem Protagonisten dagegen zu wenig Aufmerksamkeit schenken, haben Sie einen Plot, in dem sich Figuren tummeln, von denen jeder merkt, dass sie nur um des Plots willen existieren. Pappkameraden einer Ex-und-hopp-Geschichte, die, falls sie überhaupt zu Ende gelesen wird, bereits nach einem Tag vergessen ist.
Deshalb lohnt es sich, viel Arbeit auf Ihre Protagonisten zu verwenden. Viele Anfänger scheuen das, fürchten, dass sie Zeit „verschwenden“. Dem ist nicht so. Auch wenn 80% dessen, was Sie über Ihre Hauptperson wissen, nie in der Geschichte auftaucht, ist die Arbeit dafür nicht umsonst gewesen. Denn Ihre Leser werden es merken, ob Sie Ihre Figur wirklich kennen.
Beschreiben Sie also Ihre Hauptperson. Nein, nicht im Manuskript, sondern nur als Übung, nur für sich. Oft lohnt es sich, das in der ersten Person zu tun: „Mein Name ist Dracula. Ich bin seit fünfhundert Jahren tot und immer noch nicht clean. Ich komme vom Blut nicht los …“
Oder interviewen Sie die Person. Legen Sie ein Kissen auf den Stuhl gegenüber. Bitten Sie sie Platz zu nehmen. Und dann fragen Sie sie.
„Was ist das Schlimmste, das dir bisher geschehen ist?“
„Das war damals diese Sache mit dem Schäferhund. Er hatte mich am Genick gepackt …“
Bingo! Sherlock wird Probleme haben, wenn ein Schäferhund auftaucht. Und genau das wird in der Geschichte passieren, glauben Sie mir!
Dialoge
Als nächstes fallen die Dialoge auf, die Figuren reden gestelzt, geschwätzig.
„Trotzdem, sich so schnell zu trösten, wo er mir immer versichert hat, ich sei seine große Liebe, das tut weh.“
„Darf ich dich daran erinnern, dass du Schluss gemacht hast.“
„Na und. Das spielt doch keine Rolle. Ich könnte mich nicht so schnell wieder verlieben. Oder meinst du, dass es keine Liebe ist zwischen den beiden?“
Grammatikalisch korrektes, ausformuliertes, langatmiges Deutsch.
Natürlich reden Menschen so, schweifen ab, schwätzen. Aber wollen wir das lesen? Dialoge in Romanen sind gerafft. Wie überall im Text muss man hier entscheiden, was man schreibt und was man weglässt. „Ähm“ ist das häufigste Wort in gesprochener Sprache. In Romandialogen sollte man es dennoch weglassen. Hier kommt es darauf an: Was treibt die Geschichte weiter? Was ist wirklich neu? Und vor allem: Was erzeugt Konflikte?
Versuchen wir es mal, streichen wir weg, was unnütz ist:
„Immer hat er mir versichert, ich sei seine große Liebe!“
„Du hast Schluss gemacht.“
„Meinst du, dass es keine Liebe ist zwischen den beiden?“
Jetzt kommt der Konflikt viel deutlicher heraus. Belinda hat grade ihren Liebhaber abserviert, aber abgeschlossen hat sie das Thema nicht. Sie redet es sich lediglich ein. Und in diesem Dialog wird deutlich, dass es nicht stimmt. Es trifft sie tief, dass er eine Neue hat.
Allerdings steht das so nicht im Dialog, sondern zwischen den Zeilen. Das liest der Leser aus diesem Text heraus. In Geschichten ist nicht nur wichtig, was man erzählt, sondern erst recht das, was der Autor nicht erzählt. Aus dem, was zwischen den Zeilen steht, entsteht Spannung, das hält den Leser bei der Stange: die Lücken, die er selbst beim Lesen füllen muss, füllen darf. Leser lieben Rätsel. Man sollte es ihnen nicht zu leicht machen.
Auch der Konflikt kommt in der gekürzten Fassung stärker zum Tragen. Annabell interessiert sich überhaupt nicht für Belindas Sorgen um ihren Ex. Sie hält das für albern. Hat Belinda nicht selbst Schluss gemacht? Was jammert sie nun?
Viele, viele Anfänger machen den Fehler, alles zu erzählen. Und erschlagen damit die eigene Geschichte. Der Rotstift ist der beste Freund eines Autors. Wegstreichen, was überflüssig ist.
Merke: Spannende Dialoge sind in einer Kunstsprache geschrieben. Und sie sind selten grammatikalisch korrekt.

Übung

Streichen Sie alle Dialoge der Dackelgeschichte auf das Notwendige zusammen. Prüfen Sie dann, welche Konflikte jetzt deutlicher werden. Verwenden Sie ausformulierte, grammatikalisch korrekte Sätze? Können Sie das ändern, wenn ja, wie?
Nehmen Sie sich dann einen Dialog aus einem Ihrer eigenen Text vor. Überprüfen Sie diesen nach dem gleichen Muster. Überarbeiten sie ihn. Legen Sie beide Versionen nebeneinander. Welcher ist besser? Die ursprüngliche? Oder die geänderte? Vielleicht ist das unterschiedlich, einige Stellen sind in der neuen Fassung besser, andere in der alten. So etwas kommt häufig vor. In diesem Fall mischen Sie die beiden Versionen, nehmen Sie die besten Stellen aus beiden Versionen und erstellen eine neue. Fußspuren

Prolog
31. August 1988, 4.30 Uhr
Autobahn in der Schweiz

Es regnete. Der rote Opel Senator raste über die langsam heller werdende Nacht. Die Scheinwerfer schnitten eine grelle Schneise in die Dunkelheit und immer da, wo sie das Grauschwarz erfassten, brachen sich Regentropfen in ihrem Licht.
Rudolf saß am Steuer. Seine beiden Töchter Isabell und Gabrielle, und seine zwei Wochen alte Enkeltochter Veronika, Gabrielles Tochter, schliefen friedlich. Isabell hatte sich auf dem Vordersitz eingekuschelt.
Eigentlich wollte sie ihrem Vater während der langweiligen Fahrt ja Gesellschaft leisten, damit er nicht einschlief. Aber für ein achtjähriges Mädchen war das lange Aufbleiben eben doch nicht so einfach und sie wurde immer stiller und stiller. Nun lag sie da, sein kleiner unschuldiger Liebling. Mit ihren langen braunen Haaren und den dunklen, von schwarzen dichten Wimpern umrahmten Augen war sie mit ihren acht Jahren schon eine richtige Schönheit. Rudolf fühlte, wie ein warmer, liebevoller Schauer der Zuneigung ihn erfasste. Er kannte dieses Gefühl, es kam immer, wenn er mit Isabell zusammen war. Obwohl sie noch so jung war, schien sie sich für alles zu interessieren. Besonders seine Forschungen hatten es ihr angetan und seit ihrem fünften Geburtstag stand für sie fest, dass sie auch Wissenschaftlerin werden wollte, genau wie ihr Papa. Die beiden liebten sich abgöttisch.
Einen Seufzer der Zufriedenheit auf den Lippen warf Rudolf einen Blick in den Rückspiegel. Seine ältere Tochter Gabrielle saß angelehnt an den Kindersitz und hatte ebenfalls die Augen geschlossen. Gabrielle waren die Anstrengungen der Schwangerschaft und der Geburt noch deutlich anzusehen. Ihr ohnehin immer etwas blasses Gesicht wirkte noch eine Idee heller. Unter den Augen hatten sich dunkle Ringe gebildet und ihr Haar wirkte irgendwie glanzlos und dünn. Wahrscheinlich lag das aber nicht nur an der körperlichen Situation. Vor drei Monaten hatte ihr Freund sie hochschwanger sitzen lassen. Seither wurde sie von Tag zu Tag stiller und zog sich mehr und mehr zurück. Nicht einmal die Geburt von Veronika konnte sie aus ihrer Lethargie reißen. Wieder hatte Rudolf ein Seufzen auf den Lippen, allerdings ein kummervolles, angesichts des Leides seiner Tochter.
Er wandte den Blick zu seiner Enkeltochter. Das Baby verzog im Schlaf sein Gesichtchen zu Grimassen und nuckelte friedlich vor sich hin. So ein kleines Etwas Mensch. Sie hatte einen blonden Flaum auf dem Kopf und wunderschöne klitzekleine Händchen. Noch konnte man keine Ähnlichkeiten zwischen Mutter und Tochter ausmachen, mit Ausnahme eines kleinen Muttermales auf der rechten Pobacke. Es hatte die Form eines Kleeblattes und war bei beiden an genau der gleichen Stelle. Veronika verzog im Schlaf ihren Mund zu einem wie es schien schiefen Grinsen und gähnte herzhaft.
Rudolf lächelte gerührt.
Gähnend fuhr er sich mit der Hand über seinen Drei-Tage-Bart und versuchte es im Sitzen mit ein paar Streckübungen. An der nächsten Raststätte würde er anhalten müssen. Er brauchte einfach kurz frische Luft und einen starken Kaffee.
Gerade hatte er diesen Entschluss gefasst, da wurde seine Aufmerksamkeit auf einen Punkt rechts am Straßenrand gelenkt. Er sah ein kurzes Aufblitzen. „Was um …“ Rudolf konnte seinen Gedanken nie zu Ende bringen. Es gab einen lauten Knall und der Opel fing an zu schlingern. Mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen versuchte Rudolf sein Möglichstes um das Fahrzeug wieder unter Kontrolle zu bringen - keine Chance. Die Mädchen schrien, aus dem Schlaf gerissen und nicht verstehend, was denn eigentlich passierte. Mit nahezu 140 Stundenkilometern raste der Wagen durch die Leitplanke überschlug sich drei mal und kam dann auf dem Dach liegend zum Stillstand. Das linke Vorderrad drehte sich weiter, ansonsten rührte sich nichts. Es war einen Moment lang totenstill, die Welt schien den Atem anzuhalten. Von irgendwo tief im Innern des Wracks hörte man ein leises Wimmern.
Auf einem Feldweg in der Nähe fuhr ein Wagen an, ohne Licht. Der Fahrer lächelte zufrieden in sich hinein.

Infodump

Ein Wagen rast auf der Autobahn durch die Dunkelheit. Drinnen ein Vater mit seinen zwei Töchtern und der wenige Monate alten Enkelin.
Der erste Absatz schildert die Fahrt, den Regen, die beginnende Dämmerung. Da wird Atmosphäre aufgebaut. Doch leider nicht lange. Denn danach erfahren wir alles über die beiden Töchter, nur wecken diese Schilderungen keine Bilder. Die jüngere Tochter Isabell hat sich auf dem Sitz eingekuschelt und will wie der Papa Wissenschaftler werden. Die ältere wurde sitzen gelassen und man sieht ihr die Strapazen der Geburt (oder des Verlassenwerdens?) an. Eine ganze Familiengeschichte in einem kurzen Prolog. Leider ist sie so spannend wie die Hochzeitsphotos der Nachbarn.
Warum? Weil hier Informationen aufgezählt werden.
Warum sollen wir das lesen? Warum soll uns das interessieren? Diese ganze Familiegeschichte wirkt wie ein Lexikonartikel. Infodump nennt man das in der Fachsprache. Texte, die einzig Informationen an den Leser bringen sollen.
Ein Infodump ist eine Qualle. Sie treibt einfach im Text und niemand weiß so recht, was sie dort soll. Man begegnet ihr meist auf der zweiten Hälfte der ersten Seite, sobald man ein wenig in das Wasser – pardon: den Text – hineingegangen ist. Ziel und Zweck sind undurchsichtig und vor allem geschieht nichts, rein gar nichts. Denn ein Infodump erklärt. In diesem Falle die Familiengeschichte und die Beziehung der Familienangehörigen zueinander.
Aber noch weiß der Leser ja nicht, wofür er all diese Informationen benötigt.
Ein Autor sollte nie alles auf einmal verraten, sondern nur so viel, dass Spannung aufkommt, der Leser aber nicht alles erfährt. Nur das, was er gerade benötigt, und auch das sollte man ihm zeigen, es darf nicht einfach nur behauptet werden.
Was passiert in einem Infodump? Gar nichts.
Nehmen wir mal einen Text, der das besser macht:
Schon jetzt konnte er spüren, wie sich die Hitze des Morgens aufbaute, Vorbote eines weiteren Tages ohne Regen. Er war jünger als die meisten Männer seines Trupps und auch kleiner: gedrungen, muskulös, mit kurz geschnittenem braunen Haar. Die Stiele der Werkzeuge, die er auf der Schulter trug – eine schwere Bronzehacke und eine Holzschaufel – scheuerten an seinem von der Sonne verbrannten Hals. Trotzdem zwang er sich, so weit auszuholen, wie es ging. Er kletterte schnell von einem sicheren Punkt zum nächsten, und erst, als er sich hoch über Misenum befand, an einer Stelle, an der sich der Pfad gabelte, entledigte er sich seiner Last und wartete darauf, dass die anderen ihn einholten. (Robert Harris, Pompej)
Was ist in diesem Beispiel anders?

Erstens passiert etwas. Ein Mann klettert einen Berghang hinauf, die Werkzeuge scheuern am Hals, er geht schnell. Zweitens erfahren wir zwar auch einiges über die Welt und wo wir uns befinden – der Mann trägt Werkzeuge, er ist gedrungen und muskulös, vermutlich ein trainierter Handwerker und er ist ehrgeizig. Aber die meisten der Informationen (ehrgeizig, Handwerker) muss der Leser selbst aus dem Text folgern. Und drittens verrät der Autor uns nicht alles. Er erzählt uns nichts über seine Augenfarbe, nichts darüber, wozu die Werkzeuge dienen, nichts darüber, welchen Zweck der Aufstieg hat.

Womit wir lernen: Einen Infodump kann man durch eine Handlung ersetzen. Was tut unser Held? Und dabei nebenbei den Ort zeigen, wo wir uns befinden, ohne darüber eine Vorlesung zu halten.
Deshalb sollte sich jeder Autor fragen: Welche Informationen brauche ich am Anfang? Welche kann ich später einbauen? Und vor allem: Welche kann der Leser aus meinem Text erschließen?
Das meiste ergibt sich automatisch, wenn der Infodump in Handlung aufgelöst wird. Denn jede Handlung benutzt nur Bruchteile der gesamten Welt, die der Autor vor uns erstehen lassen wird. Den Rest kriegen wir später.
Schauen Sie sich Ihre ersten Seiten kritisch an. Wo treiben einfach Informationen herum, ohne dass sie in Beziehung zu einer Handlung stehen? Meistens finden sich diese auf der zweiten Hälfte der ersten Seite und auf der zweiten Seite des Manuskripts.
Hat man den Infodump gefunden, nehme man eine lange Stange (Vorsicht! Quallen und Infodumps brennen auf bloßer Haut) und stoße das Ganze solange an, bis es in Bewegung kommt. Was sich nicht bewegt, wird gestrichen.
Nein, der Leser muss nicht alles wissen, glauben Sie mir. Natürlich sollte er sich orientieren können. Im obigen Beispiel: Auf einem Hang in einem heißen Land früh am Morgen.
Sicher, ein Roman lebt davon, dass mit jedem Abschnitt etwas Neues enthüllt wird. Aber nie alles auf einmal. Ein Striptease, bei dem die Tänzerin alle Hüllen gleichzeitig fallen lässt und obendrein still dasteht wie eine Statue, würde auch das Blut des verklemmtesten Puritaners nicht in Wallung bringen.
Nein, ich wollte mit meinen Bemerkungen zum Infodump nicht den Autor von „Fußspuren“ niedermachen. Keine Schadenfreude bitte: Jeder Schreiber hat schon mal Infodumps produziert, selbst angesehene Autoren. Das ist nicht weiter schlimm. Schlimm ist nur, wenn man sie nicht auflöst.
Zurück zu unserem Prolog „Fußspuren“. Auch ein Prolog muss Interesse wecken, soll den Leser fesseln, neugierig auf die Geschichte machen, die danach kommt.
Noch besser natürlich, wenn er uns etwas erzählt, das sich erst im Laufe der Geschichte als wichtig herausstellt – vielleicht etwas, das erst am Ende richtig verstanden wird, vielleicht eine Szene, die zunächst in die Irre führt? Aber dafür muss der Prolog eben den Leser fesseln, indem er dem Leser nur die Informationen gibt, die er braucht.
Ken Follett hat das in den „Säulen der Freiheit“ perfekt vorgemacht.
„Die kleinen Jungen waren die ersten, die zum Richtplatz kamen“ und dann erfahren wir, dass es eine Hinrichtung geben wird, erleben drei Zeugen, die den Diebstahl des Gehenkten bezeugt haben. Plötzlich springt ein Mädchen auf den Platz, köpft einen Hahn und bespritzt die Zeugen mit dem Blut. Schnitt. Das war’s. Eine Szene, die spannend ist, die für sich steht, die aber eben auch Fragen aufwirft: Was steckt dahinter?
Doch das erfahren wir auf den vielen Seiten des Romans nicht. Erst ganz am Schluss, bei der Auflösung, lesen wir, wer der Verurteilte wirklich war, warum er sterben musste, dass die drei Zeugen falsches Zeugnis abgelegt haben und wer das Mädchen mit dem Hahn war. Jetzt sehen wir die gleiche Szene plötzlich mit ganz anderen Augen.
Das funktioniert nur, weil die Szene am Anfang auch für sich allein leben kann, spannend ist. So spannend, dass man sich am Ende des Buches noch daran erinnert.
Was ist in dem Prolog „Fußspuren“ spannend?
Ganz sicher der Unfall und der Schlusssatz mit dem Wagen ohne Licht. Vielleicht auch der Anfang, die Fahrt durch den Regen. Aber nicht die Familiensaga mit ihren Behauptungen in der Mitte. Sollte man sie also streichen? Ja.
Es regnete. Der rote Opel Senator raste durch die langsam heller werdende Nacht. Die Scheinwerfer schnitten eine grelle Schneise in die Dunkelheit und immer da, wo sie das Grauschwarz erfassten, brachen sich Regentropfen in ihrem Licht.
Gähnend fuhr sich Rudolf mit der Hand über seinen Drei-Tage-Bart und probierte ein paar Streckübungen. An der nächsten Raststätte würde er anhalten. Er brauchte einfach Luft und einen starken Kaffee.
Da wurde seine Aufmerksamkeit auf einen Punkt rechts am Straßenrand gelenkt. Er sah ein kurzes Aufblitzen. „Was u…“ Rudolf konnte den Gedanken nie zu Ende bringen. Ein lauter Knall und der Opel fing an zu schlingern. Mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen tat Rudolf sein Möglichstes, um das Fahrzeug wieder unter Kontrolle zu bringen – keine Chance.
Mit nahezu 140 Stundenkilometern raste der Wagen durch die Leitplanke, überschlug sich dreimal und kam dann auf dem Dach liegend zum Stillstand. Das linke Vorderrad drehte sich weiter. Einen Moment lang war es totenstill, die Welt schien den Atem anzuhalten. Von tief im Innern des Wracks hörte man ein leises Wimmern.
Auf einem Feldweg in der Nähe fuhr ein Wagen an, ohne Licht. Der Fahrer lächelte zufrieden in sich hinein.
Jetzt hat der Prolog schon sehr viel mehr Spannung. Einzelne Sätze habe ich etwas verbessert. „würde er anhalten müssen“, da kann man das „müssen“ streichen. „Es gab einen lauten Knall“, da ist „Ein lauter Knall“ besser.
Überhaupt sind Sätze mit „Es gab“ mit äußerster Vorsicht zu genießen. Sie bremsen den Lesefluss – sollten also nur dort benutzt werden, wo der Autor genau dies beabsichtigt. Statt „versuchte sein Möglichstes“, wäre „tat sein Möglichstes“ aktiver – und entspräche eher dem, was ein Fahrer in diesem Moment tun würde. Der Halbsatz „ansonsten rührte sich nichts“, ist überflüssig und stört.
Der Satz mit den Mädchen fehlt, weil diese nun nicht mehr explizit erwähnt werden, nur das Wimmern im Wrack deutet darauf hin, dass außer Rudolf noch weitere Personen im Auto sind.
Aber vielleicht wird eine dieser Figuren im späteren Roman benötigt? Wäre es da nicht sinnvoll, sie hier im Prolog zu erwähnen?
Möglicherweise nicht. Wir können diesen Unfall zunächst ohne die drei Mädchen schildern, auch wenn eines davon später wichtig wird. Hier sind die Meinungen sicher geteilt. Sie finden es besser, die Mädchen zumindest zu erwähnen? Wie wäre es mit dem Satz: „Die drei Mädchen schliefen“ am Anfang des zweiten Abschnitts? Jetzt wissen wir, dass das Auto weitere Insassen hat, aber keine Einzelheiten über sie.
Später erlebt der Leser Isabell, wenn sie erwachsen ist. Sie ist ein wenig merkwürdig, aber zunächst weiß man nicht warum. Dann erfährt man: ein Unfall. Und nach und nach wird die Vergangenheit entblättert, wie die Schalen einer Zwiebel nach und nach abgeschält werden, um an das Innere zu gelangen.
Denn auch in der ursprünglichen Fassung erfahren wir wenig über Isabell und das Wenige sind langweilige Behauptungen. Wird die Tatsache, dass Isabell Wissenschaftlerin werden will, später wichtig? Selbst dann müssen wir nicht wissen, dass sie diesen Wunsch bereits als Achtjährige hatte.
Merke: Die meisten Autoren verraten zu früh zu viel. Sie vertrauen ihren Lesern nicht.

Übung

Nehmen Sie eine Stelle aus einem Ihrer Texte, in dem Sie dem Leser etwas erklären. Wie tun Sie das? In Form eines Sachtextes? Sehr gut. Jetzt überlegen Sie, was brauchen sie an dieser Stelle wirklich von diesen Informationen? In der Regel sehr viel weniger, als da steht. Streichen Sie alles, wirklich alles, was Sie nicht brauchen. Und dann schreiben Sie das, was übrig ist, um. Bringen Sie die Qualle in Bewegung. Verwandeln sie den statischen Infodump in lebendige Bilder.


Wunschkonzert

War es das gewesen – das Leben? Wann findet Leben statt? Hatte sie schon gelebt? Hatte sie nicht immer darauf gewartet, dass das Leben nun endlich beginnen würde?
Immer an den nächsten Tag gedacht und für die nächste Woche, für den nächsten Monat, den nächsten Urlaub geplant. Für die Zukunft gelebt, jahrelang. Und plötzlich war die vermeintliche Lebensmitte vorüber, ganz unbemerkt war sie älter geworden. Oder war sie bereits alt? Was kam jetzt noch? Zwanzig oder dreißig Restjahre in einem alternden Körper, der ihr immer unbekannter wurde. Der ihren Kommandos nicht mehr widerspruchslos Folge leistete, der sein Eigenleben entwickelte. Plötzlich schmerzten die Knie, nach dem Joggen taten die Muskeln weh. Ein ausgedehntes spätes Abendessen ließ sie in der Nacht nicht mehr schlafen. Die Haare wurden grau, die Haut fahl und faltig. Die Knochen erzählten jeden Morgen beim Aufwachen vom nahen Alter. Auch die Seele war gealtert. Misstrauisch war sie geworden, intolerant, allem Unbekanntem gegenüber erst einmal ablehnend. Diese wunderbare, herausfordernde Welt war auf die Größe eines Reihenhauses am Stadtrand zusammengeschnurrt, die Träume von früher passten problemlos zwischen die Wände ihres Wohnzimmers.
Wo waren ihre Pläne geblieben? Ihre Wünsche, ihre Hoffnungen? Was hatte sie davon wahr machen können? War ihr Lebensentwurf gelungen? Hatte sie denn so etwas überhaupt je gehabt – oder hatte sie ganz einfach darauf los gelebt, das getan, was man von einem Mädchen, einer Frau erwartet: Beruf erlernt, Mann geheiratet, Kinder aufgezogen, Vater beerdigt. Hatte einfach alles auf sich zukommen lassen. Wie ein Baum nicht über Regen oder Sonne entscheiden kann, sondern darauf wartet, was an Tropfen oder Sonnenstrahlen kommt. Ein durchschnittliches Leben, keine besondere Karriere, keine besonderen Kinder, keine besonderen Höhepunkte. Kein besonderes Leben.

Tiefer schürfen

Was fällt an diesem Text als erstes auf? Eine Klage über das Alter, von einer Frau, Mutter. Nichts besonderes, das haben wir schon hundertmal gehört. Klischee, autobiografischer Middlifecrisis-Kitsch, würde ein Kulturredakteur sagen.
Aber wir wollen ja Texte hier nicht literarisch einordnen, nicht wissen, was ein Kritiker der Zeit oder FAZ dazu sagen würde. Hier geht es nicht um die Frage: Ist der Text literarisch wertvoll, sondern darum, ihn besser zu machen. Kann man ihn besser machen?
Viele würden behaupten: Nein. In die Tonne damit. Hausfrauenlyrik.
Doch, behaupte ich, man kann. Jeden Text kann man besser machen. Dadurch wird er zwar nicht im Literaturhimmel landen, aber lesbarer. Und bei dem Versuch lässt sich eine Menge lernen.
Der Text ist mit seiner Klage sehr allgemein. So oder ähnlich können das Tausende von Hausfrauen reden – und übrigens auch berufstätige Männer: „Wo waren ihre Pläne geblieben?“ Viel zu allgemein. Zahlreiche andere Sätze im Text sind ebenso allgemein.
In Geschichten ist das tödlich. Hier interessiert das Besondere, das Einmalige, das Konkrete, das, was ein Bild vor uns entstehen lässt.
Wenn ein Text bestimmte Elemente im Übermaß verwendet, gibt es ein einfaches Mittel: Alle (ja, alle!) Stellen, wo es gebraucht wird, streichen. Wie schaut der Text nackt, roh aus, ohne seine allgemeinen Aussagen, Fragen?
War es das gewesen – das Leben? Plötzlich schmerzten die Knie, nach dem Joggen taten die Muskeln weh. Ein spätes Abendessen ließ sie in der Nacht nicht mehr schlafen. Die Haare wurden grau, die Haut fahl und faltig. Die Knochen erzählten jeden Morgen beim Aufwachen vom nahen Alter. Misstrauisch war sie geworden, intolerant. Die Träume von früher passten problemlos zwischen die Wände ihres Wohnzimmers.
Mann geheiratet, Kinder aufgezogen, Vater beerdigt. Hatte einfach alles auf sich zukommen lassen. Wie ein Baum nicht über Regen oder Sonne entscheiden kann, sondern darauf wartet, was an Tropfen oder Sonnenstrahlen kommt.
Das ist jetzt natürlich sehr karg und noch immer nicht ideal. Aber sehen wir uns nochmals die Frage an, die der Autor im Ursprungstext gestellt hat. Wo sind meine Träume geblieben?
Welche Träume? Genau das fehlt hier. Hat sie früher gezeichnet, von einer grafischen Karriere geträumt?
Gezeichnet hatte sie lange nicht mehr. Die Staffelei träumte ganz hinten in der Garage von besseren Tagen, als sie wenigstens manchmal noch benutzt worden war …
Oder von Kindern geträumt, die sie zur glücklichen Mutter machen würden und nun:
Längst schon hatte sie es aufgegeben, Jan und Laura zu bitten, das Geschirr in die Spülmaschine einzuräumen …
Oder gibt es ein Ereignis, das vor der eigentlichen Geschichte liegt und deshalb im Prolog Platz finden kann?
Sie drehte den Brief in der Hand, wollte ihn erst nicht öffnen. Das schlechte Gewissen plagte sie, wie viele Jahre hatte sie sich bei Gabi nicht mehr gemeldet? Sechs? Oder waren es doch schon acht? …
Was ist an meiner Figur besonderes, was hat sie erlebt, das sie von Tausenden anderen unterscheidet, die auch ihre Träume begraben mussten?
Welche Träume sind hier begraben worden? Der zweite Schritt bei diesem Text wäre also, die allgemeinen Fragen mit Inhalt, mit Ereignissen, Bildern zu füllen. Nur so entsteht eine Geschichte. Und welche Träume es sind, die die Figur begraben hat, hängt von ihrem Charakter ab. Merken Sie etwas? Das hatten wir schon im Kapitel „Personen“ behandelt.
Um die konkreten Träume zu kennen, müssen wir also die Person kennen und zwar gut, sehr gut. Wir müssen mit ihnen einschlafen und wieder aufwachen. Dann wissen wir auch um ihre Träume und können diese zeigen.
Gelingt das, dann – aber nur dann! – darf es auch ruhig einmal ein allgemeiner Satz sein, der kommentiert. Denn beim Schreiben ist es nicht anders als beim Kochen. Eine Prise Knoblauch würzt das Essen. Aber wenn es zur Hälfte aus Knoblauch besteht, wird es ungenießbar.
„War es das gewesen – das Leben?“, halte ich für einen Satz, der dem verbesserten Text durchaus vorangestellt werden kann, ein guter erster Satz, falls es danach konkret wird.
Die Fragen im Ursprungstext sind ja keineswegs unsinnig. Ganz im Gegenteil. Sie führen uns zu dem, was wichtig ist. Nur sollte man sie deshalb nicht in den Text schreiben. Sondern sich überlegen, wie die Antworten aussehen, welche konkreten Bilder sich dazu finden. Und die, aber nur die, gehören in die Geschichte.
Das gilt eben auch für Prologe. Ein Prolog kann den Leser in die Geschichte einführen. Er ist aber kein Platz für allgemeine, banale Aussagen. Dennoch können sich aus diesen spannende Texte entwickeln – man muss nur tiefer schürfen, von der Oberfläche zum Eigentlichen kommen.
Jeder hat eine Meinung vom Leben, vom Alter, was erstrebenswert ist und was nicht. Müssen wir das lesen? Meist nicht, vor allem nicht, wenn das nur zu allgemeinen Sätzen führt, so spannend wie das Wort zum Sonntag.
Ihr Held sollte einen konkreten Wunsch haben. Ahab wollte nicht die Menschheit vor gefährlichen Tieren schützen oder die Schifffahrt sicherer machen. Er wollte sich an Moby Dick rächen.
Sind Allerweltsweisheiten im Text also nutzlos?
Nein. Sie sind aber Steine, Schutt, die über der eigentlichen Geschichte liegen wie Schutt über den Ruinen antiker Städte. Sie verdecken das, was wir erzählen wollen. Um an unsere Geschichten heran zu kommen, müssen wir diesen Schutt beiseite räumen. Vorsichtig, damit wir nicht das zerstören, was darunter liegt.
„Geschichten sind keine Souvenir-T-Shirts oder Gameboys. Geschichten sind Überbleibsel einer noch unentdeckten, seit jeher bestehenden Welt. Die Aufgabe des Schriftstellers ist es, jede Geschichte mit den Instrumenten seines Werkzeugkastens so unbeschädigt wie möglich aus dem Boden zu heben. […] Um dies so gut wie möglich zu machen, muss der Spaten feinerem Werkzeug weichen: Druckluft, Handmeißel, vielleicht sogar einer Zahnbürste.“ (Stephen King).
Zurück zu unserem Text.
„So ist eben das Leben“, ist nicht sonderlich originell. Es ergibt auch keine Geschichte. Aber wie ist denn das Leben für die, die solch einen Satz äußert? Geprägt von Verlust, und da war der Tod der Mutter, als sie zehn war? Voller Sex und Spaß und dieser Kellner, wie er lächelte? Harte Arbeit, verdienter Erfolg und die Blicke, die einem die Untergebenen zuwerfen?
Allgemeine Sätze einfach nur ersatzlos zu streichen, ist manchmal ein Fehler. Viel wirkungsvoller, sich zu fragen, was unter dem allgemeinen Blah-Blah verborgen liegt. Und irgendwann, wenn Sie vorsichtig den Schutt beiseite geräumt haben, entdecken Sie ein Mosaik, einen Charakter mit einem alles beherrschenden Wunsch. Don Quichotte, der ein Ritter sein will. Faust, der wissen will, was die Welt zusammenhält. Emil und die Detektive, die das gestohlene Geld von Emils Mutter wiederholen wollen.
Das ist es, was Ihrer Geschichte Leben verleiht.