Das Fenster
aus: Breisgauner, Anthologie, Hrsg Anne Grießer
Jeden Tag sitze ich an diesem Fenster. Morgens, nach dem Frühstück, schaue ich zum erstenmal herunter, dann lese ich etwas, aber nach jeder Seite ein kurzer Blick nach unten. Im Frühjahr setzt der Wirt die Oleandertöpfe vor das Cafe am Lederleplatz, einen roten, einen rosanen, zwei weiße, große Sonnenschirme, auf denen Malboro steht, und sieben Tische mit Stühlen.
Die Tische sind meistens besetzt. Das ist schlecht, das schreckt weitere Gäste ab, und ich muß genau schauen, wenn ein Gast geht oder kommt.
Eine kleine Metallplastik steht in der Mitte des Platzes. Was sie darstellen soll, weiß ich nicht, es kommt Wasser aus ihr heraus, wo man es nicht vermutet, und kein Wasser, wo jeder denkt, da müßte Wasser herauskommen. So sitze ich also am Fenster, lese eine Seite, schaue heraus auf den Platz, der sehr schön ist, besonders wenn die Sonne scheint, auch wenn die Plastik Wasser speit, wo man es nicht erwartet.
Meist lese ich Krimis. Agatha Christie, damit habe ich angefangen, dann kam Wallace, aber den habe ich jetzt auch durch. Und die modernen Krimis sind mir zu brutal. Dann kriege ich Angst und vergesse, hinunterzuschauen auf den Platz. Und das will ich nicht.
Ich bin eben zu empfindlich, ich kann kein Blut sehen, nicht mal hören kann ich davon, und Agatha Christies Giftmorde gefallen mir am besten.
Ich habe schon überlegt, ob ich mich als Bedienung im Cafe bewerben soll, dann kann ich leicht mit Gift... Aber nein, das geht nicht, vielleicht setzt er sich an einen Tisch, für den die andere Bedienung zuständig ist, und was tu ich dann? So wie jetzt, das ist sicherer, auch wenn ich dazu die Vorbesitzerin der Wohnung aus dem Weg räumen mußte, weil man von dieser Wohnung das Cafe am besten überblickt. Aber sie war alt, die Vorbesitzerin meine ich, und es ging als Herzversagen durch.
Oft überlege ich, ob nicht doch Gift, aber nein, das geht nicht, er ist dreißig und den Herzinfarkt glaubt mir kein Mensch. Wenn ich wüßte, wo er jetzt ist, müßte ich nicht jeden Tag hier sitzen. Aber er ist weg. Weil er Angst hat, natürlich. Doch irgendwann kommt er zurück zu dem Cafe mit dem Oleander, das weiß ich, und dann macht es Peng und nochmals Peng und er ist tot. Mehr als zweimal muß ich nicht Peng machen, ich bin eine gute Schützin.
Bloß eines macht mir Sorgen: Was dann? Wenn er blutet, muß ich unbedingt vorher wegschauen.
Wo ich doch kein Blut sehen kann.